Unmittelbar,
mittelbar
und auch
nicht

Das Fotografische Portrait

Wie wird ein Foto gesehen? Wie viel Einfluss nimmt der Fotograf? Wo ist in diesem kurzen Moment der Portraitierte und wie greifbar ist überhaupt das Abbild? Was sieht der Betrachter? Wie viel Wahrheit besitzt das fotografische Portrait und in wie weit kann das Spektrum der Wahrnehmung ausgereizt werden?


Meine Faszination und mein Interesse gilt den Möglichkeiten, Einflüssen sowie der Wahrnehmung in einem Portrait.


Ich stehe im Schatten. Kein Wind zu spüren.

Trotz überstandener Mittagssonne ist es noch immer heiß. Der helle Sand blendet, deswegen trage ich eine Sonnenbrille.

Ich stehe gegenüber der Ortskirche. Der Platz ist ruhig, obwohl ich aus der Ferne Musik wahrnehme.

Ich rieche den Zigarettenrauch von jenem, der vor mir steht. Ich kenne ihn nicht. Wir trafen uns zufällig und redeten ein paar flüchtige Worte. Ich sah ihn an – und hielt ihn fest – auf meinem Film.

Nun ist er da. Du hast ihn gesehen.


Brasilien, Jericoacoara, Dez 2013

Es
fasziniert
mich,

 

             wenn ich daran denke,               

             wie viele Wege es gibt,

 

Einfluss
auf
ein
Portrait
zu nehmen.

Meine Gedanken
durchfluten mich…

Da ist diese Kamera

vor mir.

Sie richtet sich auf mich.

Ich fühle mich unwohl.
Ich bin nicht mehr ich selbst.

Mein Selbst erscheint mir plötzlich unnatürlich – die Ahnungslosigkeit meines Wirkens ist befremdend.

Wo

bin ich geblieben
und wer
wird auf der Fotografie zu sehen sein?

Ich schaue durch meinen Sucher.

Mein Blick,

er richtet sich
allein auf das Gesicht,
auf jenen Menschen vor mir,
auf Haltung,
auf Gestik.
All meine Spannung,
all meine Konzentration
richten sich auf den Moment,
auf den ich warte.

Da ist er.

Ich denke nicht nach.
Es ist spontan, intuitiv, natürlich.
Ich ziele, schiesse, spanne und bin
wieder bereit.

Da
liegt das Bild vor dir


Was siehst du?

Nach was
suchst du?



Wo hört deine Reise auf?
Und du kommst an
bei jenem,
das dir vertraut, dir nah

sich gibt.

‚Gleichwohl habe ich bemerkt, daß es …, bestimmte Photos gab, die stillen Jubel in mir auslösten, so als rührten sie an eine verschwiegne Mitte – einen erotischen Punkt oder eine alte Wunde -, die in mir begraben war (wie harmlos auch immer das Sujet erscheinen mochte); andere Photos wiederum blieben mir in solchem Maße gleichgültig, daß ich angesichts ihrer sich wie Unkraut vermehrenden Vielzahl ihnen gegenüber eine Art Abneigung, ja Verärgerung empfand: es gibt Augenblicke, in denen ich PHOTOGRAPHIEN verabscheue …‘


Roland Barthes,
‚Die helle Kammer‘

Ich erinnere mich an einem Besuch in der Neuen Nationalgalerie. Es war 2008, es wurde die Retrospektive über Hiroshi Sugimoto ausgestellt. Ich durchwanderte die erste Ebene und bestaunte die gewaltigen Fotografien. Im Untergeschoss angekommen, erblickte ich, ebenfalls großformatig, Portraits. Es waren die Gesichter von König Heinrich VIII, Queen Elizabeth I und Voltaire. Es sind Fotografien von Persönlichkeiten aus einer Zeit, die der Fotografie unzugänglich war. Die Fotografien beweisen die Echtheit der Portraits. Es beginnt die Irritation – denn der Ursprung jener erstaunlichen Portraits findet die Wahrheit in der Kopie. Es gibt keinen Moment zwischen Fotograf und Portraitiertem. Es sind Portraits von Gemälden. Wachsfiguren.

Marcel Duchamp sitzt auf einem Korbstuhl, er trägt einen Mantel, hält ein Buch in der Hand und schaut, nehme ich an, aus dem Fenster. Man Ray löste aus. Es scheint, als würde ich diesen Moment miterleben – als wäre ich da und schaute durch den Sucher.
Eine Fotografie, die mich berührt.


Das Portrait, welches entstand, ist da.
Es existiert.
Eindeutig, unveränderlich,
gleich für jedermann



und
doch
scheint die Wahrheit
individuell.


Abbilder,
Fotografien.


Fotografien mit Gesichtern,
die diese Seiten füllen.


Gesehen hast du,
was du sehen wolltest.
Was du an dich
heranließest,
was dir entgegen kam.